Wohlgeformte Unordnung für vielseitige Lichttechnologien
14.10.2020ETH-Forschenden gelang es, mit Mikrokügelchen aus ungeordneten Nanokristallen ein effizientes Material zur breitbandigen Frequenzverdopplung von Licht herzustellen. Die entscheidende Idee dazu entstand in einer Kaffeepause. Der neue Ansatz könnte künftig in Lasern und anderen Lichttechnologien zum Einsatz kommen.
Vom Mikroskop über die Datenübertragung durch Glasfasern bis hin zu modernen Quantentechnologien spielt Licht eine wichtige Rolle in Wissenschaft und Industrie. Insbesondere Methoden, mit denen die Farbe – also die Frequenz und Wellenlänge – von Licht verändert werden kann, sind in modernen Anwendungen von grosser Bedeutung. Dazu braucht es nichtlineare Kristalle. In diesen Kristallen kann zum Beispiel aus zwei Photonen einer bestimmten Frequenz ein Photon mit der doppelten Frequenz entstehen, also etwa aus zwei roten Photonen ein blaues.
Damit das funktioniert, muss das Licht allerdings in der Regel in einer ganz bestimmten Richtung und mit einer bestimmten Polarisierung auf den Kristall treffen. Diese so genannte Phasenanpassung schränkt die Anwendungsmöglichkeiten oft empfindlich ein. Forscher um die ETH-Professorin Rachel Grange am Institut für Quantenelektronik haben nun gemeinsam mit der Arbeitsgruppe von Lucio Isa am Departement für Materialwissenschaft eine Methode entwickelt, mit der sich eine effiziente Frequenzverdopplung auch ohne eine solche Feinabstimmung erreichen lässt und die gleichzeitig noch andere Vorteile gegenüber herkömmlichen Verfahren aufweist.
Scheinbar unvereinbare Ansätze
Das Rezept der Forscher lässt sich etwa so zusammenfassen: Lieber klein als gross und besser durcheinander als geordnet. Das klingt rätselhaft, doch ein ebenso grosses Rätsel war zunächst auch die Aufgabe, die sich Granges Team gestellt hatte. «Für eine bessere und vielseitiger anwendbare Frequenzverdopplung wollten wir zwei Ansätze miteinander verbinden, die eigentlich nicht zusammenpassen», sagt Romolo Savo, der als Postdoktorand im Rahmen eines Marie-Curie Stipendiums das Projekt leitete.
Beim ersten Ansatz benutzt man anstelle eines einzelnen grossen Kristalls sehr viele, nur wenige Mikrometer grosse Mini-Kristalle, deren Kristallachsen in alle möglichen Richtungen zeigen. Dadurch muss nicht mehr streng auf die Richtung der einfallenden Lichtstrahlen geachtet werden. Unter den vielen Mini-Kristallen werden immer einige sein, die günstig ausgerichtet sind, und andere, die ungünstig ausgerichtet sind, aber unter dem Strich kommt dennoch eine beträchtliche Menge an frequenzverdoppeltem Licht heraus. «Es hört sich paradox an», gibt Savo zu, «und einige unserer Kollegen fanden sie Idee, Unordnung auf diese Weise zu nutzen, etwas befremdlich – aber sie funktioniert!»
Der zweite Ansatz wiederum beruht auf der verstärkenden Wirkung von Resonanzen. Ist die Anordnung der Mini-Kristalle zum Beispiel kugelförmig mit einem Durchmesser, der in etwa der Wellenlänge des Lichts entspricht, so erhöht sich durch wiederholte Reflexion der Lichtwellen an den Kugelwänden die Lichtintensität im Innerem der Kugel um ein Vielfaches, und dadurch auch die Ausbeute an frequenzverdoppeltem Licht.
Um beide Effekte gleichzeitig optimal anzuwenden, wollten die Forschenden daher ein ungeordnetes Kristallpulver zu mikrometergrossen Kügelchen formen, um so den resonanten Verstärkungseffekt des Lichts auszunutzen. Die einzelnen Bariumtitanat-Kristalle, die sie dazu verwenden wollten, mussten sehr klein sein – nur etwa 50 Nanometer lang -, damit sie durchsichtig genug waren, um das Licht mehrmals passieren zu lassen und so Resonanzen in den Mikrokügelchen zu erzeugen.
Vinaigrette-Tipp in der Kaffeepause
«Wir hatten also diese tolle Idee, aber keine Ahnung, wie wir die vielen winzigen Nanokristalle in perfekte Mikrokügelchen verwandeln sollten», sagt Savo. «Eines Tages trafen wir dann in der Kaffeepause Lucio Isa, erzählten ihm von unserem Problem, und er hatte gleich einen Tipp parat.» Isas Vorschlag war, das Nanokristall-Pulver in Wasser aufzulösen, die Wasserlösung mit Öl zu mischen und das Ganze kräftig zu schütteln – ähnlich, wie man es bei einer Vinaigrette mit Essig und Öl machen würde. In der so hergestellten Emulsion bilden sich dann kleine Bläschen der Wasser-Kristall-Lösung, aus denen das Wasser nach und nach durch das Öl hindurch verdunstet. Übrig bleiben perfekt geformte Kügelchen aus ungeordneten Nanokristallen, also genau das, was Grange und ihre Mitarbeiter wollten. «Aus diesem Tipp entstand dann die Zusammenarbeit mit Isas Arbeitsgruppe», sagt Grange: «Solche spontanen, nicht geplanten Kollaborationen sind übrigens oft die fruchtbarsten. Natürlich haben wir Isas Rezept gleich ausprobiert.»
Und das Rezept funktionierte – sogar noch besser, als man es erwarten würde. «Die Frequenzverdopplung mit den Kügelchen aus ungeordneten Nanokristallen funktioniert sowohl unabhängig von der Einfallsrichtung des Lichts als auch über eine grosse Spanne an Frequenzen. Damit ist sie wesentlich vielseitiger als die Frequenzverdopplung mit herkömmlichen Kristallen», erklärt Savo. Zudem erhielten die Forscher dieselbe Ausbeute an frequenzverdoppeltem Licht bei 70 Prozent weniger Materialeinsatz. Im Gegensatz zu normalen Kristallen, bei denen ab einer bestimmten Grösse die Lichtausbeute nicht weiterwächst, stieg sie bei den Mikrokügelchen weiter mit deren Volumen an.
Hochwertige Laserkristalle aus Pulver
Demnächst wollen Grange und ihre Kollegen die Methode noch weiter verbessern, zum Beispiel durch Einfügen eines Abstandhalters zwischen den Mikrokügelchen und der Glasscheibe, auf der sie ruhen. Dadurch sollen Lichtverluste minimiert werden. Auch an mögliche Anwendungen denken die Forscher bereits. Die Aussicht, aus einem simplen und billigen Nanokristall-Pulver leistungsfähige nichtlineare Kristalle herzustellen, ist für Lasertechnologien allgemein interessant. Ausserdem kann man die Mikrokügelchen über grosse Flächen verteilen. Damit könnten dann beispielsweise neuartige Bildschirme hergestellt werden, die Bilder im Infrarotbereich durch Frequenzverdopplung direkt in sichtbare Bilder umwandeln. Solche Bildschirme könnten in Überwachungskameras oder in den Lebenswissenschaften zur Anwendung kommen.
Literaturhinweis
Savo R, Morandi A, Müller JS, Kaufmann F, Timpu F, Reig Escalé M, Zanini M, Isa L, Grange R: Broadband Mie-driven random quasi-phase-matching. Nature Photonics, 1. October 2020, doi: 10.1038/s41566-020-00701-x
Eine frei zugängliche Kopie des Papers findet sich hier.