Super-Gelee übersteht hohe dynamische Lasten
13.12.2021Supramolekulare Polymernetzwerke sind nicht-kovalent vernetzte weiche Materialien, die einzigartige mechanische Eigenschaften wie Selbstheilung, hohe Zähigkeit und Dehnbarkeit aufweisen. Die University of Cambridge entwickelte nun glasartige, speziell vernetzte Polymernetzwerke mit aussergewöhnlichen EIgenschaften: Sie zeigen schnelle Erholung selbst nach ausserordentlich hohen Druckbelastungen.
Glasartige Netzwerke erlauben hohe Druckfestigkeit und Bruchdehnung
Bisherige Studien konzentrierten sich auf die Optimierung solcher Eigenschaften durch schnell dissoziierende Vernetzungen. Die Gruppe um Oren E. Sherman verwendet hingegen in ihrer in der Zeitschrift Nature Materials publizierten Studie hingegen nicht-kovalente Vernetzer mit langsamer, einstellbarer Dissoziationskinetik, die eine hohe Kompressibilität supramolekularer Polymernetzwerke ermöglichen. Die daraus resultierenden glasartigen supramolekularen Netzwerke weisen eine Druckfestigkeit von bis zu 100 MPa auf, ohne zu brechen, selbst wenn sie bei 93 % Dehnung über 12 Zyklen von Kompression und Relaxation komprimiert werden. Bemerkenswert ist, dass sich diese Netze bei Raumtemperatur schnell selbst erholen (< 120 s), was für die Entwicklung von weichen Hochleistungsmaterialien nützlich sein könnte. Die Verzögerung der Dissoziationskinetik nicht-kovalenter Vernetzungen durch strukturelle Kontrolle ermöglicht den Zugang zu solchen glasartigen supramolekularen Materialien, die vielversprechend für Anwendungen in der Soft-Robotik, Tissue Engineering und tragbare Bioelektronik sind.
Ein optimales Zusammenspiel von Gastmolekülen und Wirtsgitter
Die Art und Weise, wie sich Materialien verhalten - ob sie weich oder fest, spröde oder stark sind - hängt von ihrer Molekularstruktur ab. Dehnbare, gummiartige Hydrogele haben viele interessante Eigenschaften, die sie zu einem beliebten Forschungsgegenstand machen - wie etwa ihre Zähigkeit und Selbstheilungsfähigkeit -, aber die Herstellung von Hydrogelen, die einer Kompression standhalten, ohne zerdrückt zu werden, ist eine Herausforderung.
Das von einem Team an der Universität Cambridge entwickelte weiche und doch starke Material sieht aus wie ein matschiges Gelee und fühlt sich auch so an, verhält sich aber beim Zusammendrücken wie ein ultrahartes, bruchsicheres Glas – trotz seines hohen Wassergehalts. Der nicht wasserhaltige Teil des Materials besteht aus einem Netzwerk von Polymeren, die durch reversible On/Off-Wechselwirkungen zusammengehalten werden, die die mechanischen Eigenschaften des Materials steuern. Dies ist das erste Mal, dass ein weiches Material eine so hohe Druckfestigkeit aufweist.
"Um Materialien mit den gewünschten mechanischen Eigenschaften herzustellen, verwenden wir Vernetzer, bei denen zwei Moleküle durch eine chemische Bindung miteinander verbunden werden", sagt Dr. Zehuan Huang, Erstautor der Studie. "Wir verwenden reversible Vernetzer, um weiche und dehnbare Hydrogele herzustellen, aber es ist schwierig, ein hartes und komprimierbares Hydrogel herzustellen, und die Entwicklung eines Materials mit diesen Eigenschaften ist völlig kontraintuitiv".
Im Labor von Professor Oren A. Scherman, der die Forschung leitete, verwendete das Team tonnenförmige Moleküle, so genannte Cucurbiturile, um ein Hydrogel herzustellen, das einer Kompression standhalten kann. Das Cucurbituril ist das vernetzende Molekül, das zwei Gastmoleküle in seinem Hohlraum festhält - wie eine molekulare Handschelle. Die Forscher entwarfen Gastmoleküle, die es vorziehen, länger als normal in dem Hohlraum zu bleiben, wodurch das Polymernetzwerk fest verbunden bleibt und der Kompression standhalten kann. "Bei einem Wassergehalt von 80 % sollte man meinen, es würde wie ein Wasserballon zerplatzen, aber das ist nicht der Fall: Es bleibt intakt und hält enormen Druckkräften stand", so Scherman, Direktor des Melville-Labors für Polymersynthese der Universität. "Die Eigenschaften des Hydrogels sind scheinbar widersprüchlich".
"Die Art und Weise, wie das Hydrogel der Kompression standhält, war überraschend, es war nichts, was wir bisher bei Hydrogelen gesehen haben", sagte Koautorin Dr. Jade McCune, ebenfalls vom Fachbereich Chemie. "Wir fanden auch heraus, dass sich die Druckfestigkeit durch einfache Veränderung der chemischen Struktur des Gastmoleküls in der Handschelle leicht steuern lässt."
Durch die Veränderung der molekularen Struktur der Gastmoleküle innerhalb der glasartigen Hydrogele konnte die Dynamik des Materials erheblich verlangsamt werden, wobei die mechanische Leistung des fertigen Hydrogels von gummiartigen bis zu glasartigen Zuständen reichte. "Man hat Jahre damit verbracht, gummiartige Hydrogele herzustellen, aber das ist nur die Hälfte des Bildes", so Scherman. "Wir haben die traditionelle Polymerphysik überdacht und eine neue Klasse von Materialien geschaffen, die das gesamte Spektrum der Materialeigenschaften von gummiartig bis glasartig abdecken und damit das Gesamtbild vervollständigen."
Ein weiches Hochleistungsmaterial für zahlreiche Anwendungen
Die Forscher verwendeten das Material zur Herstellung eines Hydrogel-Drucksensors für die Echtzeitüberwachung menschlicher Bewegungen, einschließlich Stehen, Gehen und Springen. "Soweit wir wissen, ist dies das erste Mal, dass glasartige Hydrogele hergestellt wurden. Wir schreiben nicht nur etwas Neues in die Lehrbücher, was wirklich aufregend ist, sondern wir schlagen ein neues Kapitel im Bereich der weichen Hochleistungsmaterialien auf", so Huang. Die Forscher des Scherman-Labors arbeiten derzeit daran, diese glasähnlichen Materialien in Zusammenarbeit mit Experten aus dem Ingenieurwesen und den Materialwissenschaften für biomedizinische und bioelektronische Anwendungen weiterzuentwickeln.
Quelle: Pressemitteilung der University of Cambridge, Übersetzung und Bearbeitung: nano.swiss / MMo
Originalpublikation
Z. Huang, X. Chen, S.J.K. O'Neill, G. Wu, D.J. Whitaker, J. Li, J.A. McCune and O.A. Scherman, Highly compressible glass-like supramolecular polymer networks, Nat. Mater. (2021). https://doi.org/10.1038/s41563-021-01124-x